Tesla verkauft zwar mit weniger als 400.000 Autos pro Jahr weit weniger als die großen Dickschiffe der Autoindustrie wie Toyota oder VW, die jeweils jährlich um die zehn Millionen Fahrzeuge absetzen. Trotz oder vermutlich gerade deswegen verursacht Elon Musks verhältnismäßig kleiner, wendiger Autobauer den großen Playern Kopfzerbrechen, denn aus technologischer Sicht scheint Tesla den „Dickschiffen“ um Jahre voraus zu sein, wie ein Teardown des Model 3 der japanischen Zeitung Nikkei nahelegt.
Tesla: Zentrale Recheneinheit und Software aus eigener Entwicklung
Aus technologischer Sicht sei vor allem die zentrale Recheneinheit herausstechend, die Tesla als „Full Self-Driving Computer“ (FSD) und Hardware 3 bezeichnet. Der Rechner übernehme nicht nur Aufgaben für teilautomatisiertes Fahren nach Level 2,5 – und bald auch für autonomes Fahren –, sondern diene auch zur Steuerung des erweiterten Infotainment-Systems.
Das Rechenmodul, das im Frühjahr 2019 vorgestellt wurde, steckt in allen neuen Model S, X und 3 Fahrzeugen und besitzt zwei selbstentwickelte 260 Quadratmillimeter große Chips für künstliche Intelligenz. Ein wenig wie Apple baut Tesla dabei nicht nur die Hardware selbst, sondern auch die Software, sodass das System so funktioniert, wie der Hersteller es sich vorstellt. Vor der selbst entwickelten Hardware 3 setzte Tesla seinen Vorgänger „Hardware 2.5“ ein, der zusammen mit Nvidia gefertigt wurde. Durch den Schritt zur Eigenentwicklung habe man eine Verbesserung der Bild-pro-Sekunde-Verarbeitung um den Faktor 21 für die Autopilot-Funktion erreichen können, so das Unternehmen.
Für Nikkei sei diese kleine Recheneinheit die größte Waffe im aufstrebenden Markt der vollvernetzten Elektroautos. Die Zeitung geht gar davon aus, dass solche Lösungen die klassischen Lieferkette der Automobilindustrie beenden könnten. Ein Ingenieur eines japanischen Autoherstellers, der die zentrale Recheneinheit inspizierte, erklärte: „Wir bekommen sowas nicht hin.“
Zwar arbeiten Unternehmen wie Toyota oder VW an vernetzten Fahrzeugen mit teilautonomen Fahrfunktionen, für die eine elektronische Plattform mit einem leistungsstarken Computern erforderlich ist, um große Datenmengen berechnen zu können. Derzeit setzen die großen Player dafür aber auf mehrere Recheneinheiten und Systeme. So erwarten Branchenkenner, dass Volkswagen oder Toyota Technologien, die Tesla nutzt, frühestens um 2025 durchsetzen wird. Nikkei zieht daraus, dass Tesla im Technologiebereich der Konkurrenz um sechs Jahre voraus ist.
Anders als Tesla: Traditionelle Hersteller mit vielen Steuereinheiten von vielen Zulieferern
Traditionelle Autohersteller sind aber offenbar selbst mit ihren neuesten Modellen auf technologischer Ebene noch nicht so weit, wie exemplarisch an Volkswagens erstem vollvernetzten Stromer, dem VW ID 3, zu sehen ist. Beim ID 3 kommen abermals mehrere Betriebssysteme und Recheneinheiten zum Einsatz.
Dass die großen Autohersteller es bislang nicht geschafft haben, Tesla auf Technologie-Ebene Paroli zu bieten und es in den nächsten Jahren wohl auch nicht so schnell schaffen werden, liegt an den über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Strukturen und Abhängigkeiten von Zulieferern. Firmen wie Bosch, Continental und Schaeffler liefern hochspezialisierte Bauteile mit der passenden Software an die Autobauer.
Durch den Einsatz von Hard- und Software Dritter stecken laut Christian Senger, Mitglied des VW-Markenvorstands für das Ressort Digital Car and Services, in einem typischen Premiumfahrzeug zehn Millionen Zeilen Code, verteilt auf 70 Steuerungsgeräte, auf denen acht verschiedene Betriebssysteme laufen. Jede Funktionsgruppe im Auto besitze letztlich eine eigene Steuereinheit – viele von ihnen von Zulieferern.
Aufgrund dieser Vielzahl an Systemen sei es dem VW-Manager unter anderem unmöglich, für jede Funktion des Systems Over-the-Air-Updates einspielen zu können, wie Tesla es realisiere. Laut Senger sei es beim VW ID 3 zunächst nur möglich, Sicherheits-Updates einzuspielen – wenn das System dann läuft, denn offenbar hat der Autobauer mit massiven Softwareproblemen zu kämpfen. Andere Software-Updates müssen demzufolge wie bisher noch kabelgebunden in der Werkstatt eingespielt werden.